Kunst: Jürgen Palmtag eröffnet die Veranstaltungsreihe "On the Move" der Kunsthalle Mannheim im Einraumhaus
Die Kunst präsentiert sich rau, lebendig, chaotisch
Verwackelte Bilder, ein merkwürdiger Sound in selten schmerzhafter Lautstärke, ein buddhaartiger Mensch mit Mundharmonika sitzt im Einraumhaus vor viel Elektronik und flüstert, brabbelt, schreit, wütet in ein Mikrofon, nein zwei Mikrofone: Jürgen Palmtag, bildender Künstler und Soundexperimentator eröffnet die neue Reihe "On the Move", die die Kunsthalle Mannheim sozusagen gegen die Schließung des Hauses auf den Weg bringt.
Sebastian Baden, frischgebackener Kurator für zeitgenössische Kunst an der Kunsthalle Mannheim, hatte die Idee und sich zwölf Aktionen an zwölf Stationen in der Metropolregion Rhein-Neckar, aber auch in Südwestdeutschland ausgedacht. Der Innovationsfond Kunst Baden-Württemberg und die Hector Stiftung gaben das Geld dazu.
Rhythmische Gesänge, gekonntes Mundharmonika-Spiel, das manchmal an den guten, alten Blues erinnert. Alles ist bewegt, manchmal klingen die Geräusche der fahrenden Autos am Alten Messplatz oder das Aufploppen der Skateboardfahrer in den Scatgesang von Jürgen Palmtag hinein, die Umgebung spielt also mit. Das ist vergnüglich wie verwirrend, die flackernden Bilder aus dem Overhead-Projektor an Wand und Decke tun ein Übriges. Offen und verrückt sind die richtigen Bewertungen, optisch und akustisch ein wundervolles Chaos.
Der Künstler Jürgen Palmtag und seine Mittel
Mehrstimmiger Gesang und Sprechen kommt aus einer Person, auch Englisch. Aber wie der Künstler in Interviews sagte: Er behandelt die Sprache nicht ausschließlich als Sinn- und Bedeutungsträger, sondern auch als Geräusch, als Sound, deshalb trifft es auch der Titel "Kraakspeech" genau - eine amüsante Verballhornung aus Krach und Sprache. Die Kunsthalle nennt viele seiner Werke ihr Eigen, Zeichnungen wie Druckgrafik. So sind auch hier jetzt Motive aus Handzeichnungen wie auch halbautomatischen Lockerungsübungen zu sehen, dazu auch unscharfe Fotos seltsamer Gebilde und rätselhafte Landschaften. Die in Sprache und Gesang wie auch den als Visuals verwendeten Versatzstücken der bildenden Kunst gewinnen durch kunstvolle Verzerrung, Zerdehnung oder Verschiebung des gewohnten Kontextes ihre große Kraft. Palmtag war übrigens 1999 schon einmal in der Heart Gallery Mannheim zu Gast.
Die Kunsthalle und ihre neue Reihe "On the Move"
Regional und international, theoretisch und praktisch, so präsentiert sich die gesamte Reihe, die bis zur Eröffnung der neuen Kunsthalle das Interesse und die Neugier darauf wach halten soll. So kooperiert sie mit Port25 bei der Verleihung des Justus-Bier-Preises an die Kuratorinnen Inge Herold und Karoline Hille für die großartige Ausstellung samt Katalog zu Hannah Höch, aber verbindet das auch mit einem Vortrag von Armen Avanessian über Postcontemporary Art. Im Cinema Quadrat wiederum wird der amerikanische Medienkünstler Peter Burr mit Hilfe von Mobiltelefonen und 3D-Masken eine Projektion mit Virtual-Reality-Effekten aufführen. In der Tulla Schule gibt es ein Graffiti Casting im September und dann ein kollektives Mitmachprojekt von Schirin Kretschmann (Berlin). Ihre Interventionen im öffentlichen Raum werden danach befragt im Künstlergespräch mit Sebastian Baden und Jan-Philipp Possmann von zeitraumexit. Nach der documenta 14 stellen sich in einer Podiumsdiskussion im Heidelberger Kunstverein Roger M. Buergel (documenta 12) unter anderem mit Henry Keazor (Kunsthistorisches Institut Heidelberg) und Ursula Schöndeling (Leiterin Heidelberger Kunstverein) dem Publikum, um über das documenta-Prinzip zu diskutieren. Das war jetzt nur ein Ausschnitt dieses außerordentlich ambitionierten Projekts "On the Move", dem man möglichst viele Zuschauer und Gäste wünschen möchte!
Infos:
Jürgen Palmtag, geboren 1951 in Schwenningen/Neckar. Studierte in den 1970er Jahren Malerei und Grafik an der Hochschule der Künste Berlin in Berlin. Er arbeitet seit den 1980er Jahren an verschiedenen Werkgruppen zum Schwerpunkt Text/Bild-Illustration.
On the Move - Veranstaltungsreihe der Kunsthalle Mannheim während der Schließung des Hauses, die nächsten Termine: Christian Saehrendt liest am 11. Mai in der Galerie der Stadt Sindelfingen aus seinem parodistischen Roman. Am 23. Mai wird Armen Avanessian, Berlin, über Post-Contemporary Art und den Zeitkomplex sprechen nach der Verleihung des Justus-Bier-Preises in Port25.
© Susanne Kaeppele - Mannheimer Morgen, 24.04.2017