Das Porträt: Götz Diergarten sucht das Besondere im Banalen - und zeigt seine preisgekrönten Architekturfotos bei den "Strümpfen"
Gegen den verordneten Blick
Eine Tür, ganz unauffällig und etwas altertümlich, grau in grau mit der Hauswand verschmolzen, und dann - ist es Schmutz auf der Scheibe? Nein, es ist der Türgriff, der innen durch die geriffelte Glasscheibe leicht verschwommen sichtbar wird. Solche kleinen Finessen zeichnen das fotografische Werk von Götz Diergarten aus, der vor 38 Jahren in Mannheim geboren wurde und nun in der Galerie "Strümpfe" ausstellt.
Als Schüler durch die USA
Im Zentrum steht der umfangreiche Zyklus "Metropolis", der nicht etwa vom gleichnamigen Fritz-Lang-Film handelt, sondern von den U-Bahn-Systemen europäischer Hauptstädte. Und vor allem von ihren typologischen Unterschieden, die durchaus die politischen Systeme der jeweiligen Länder mitbehandeln. Daran hätte gewiss Diergartens Lehrer Bernd Becher - mit seiner Frau Hilla zu Lebzeiten einer der wichtigsten fotografischen Künstler der Bundesrepublik - seine Freude gehabt.
Im Gespräch erzählt der Künstler begeistert von seinen Projekten, von seinen ersten Erfahrungen mit der Fotografie, die ihn noch als Schüler quer durch die USA trieben und die den Ausschlag dafür gaben, sich an der Kunstakademie in Düsseldorf zu bewerben und es mit den Bechers aufzunehmen, den Großen der ernsthaften, typologischen Fotografie. Bernd Becher zwang ihn zur Großformatkamera, "alles andere sei Mist", habe er damals gesagt. Von ihm habe er Wichtiges gelernt, was ihn noch heute bewegt: "Ernsthaftigkeit der eigenen Arbeit gegenüber, aber auch eine gewisse Bescheidenheit."
Bernd Becher forderte seine Studenten immer auf, sich ein "eine Lücke", ein "Lebensthema" zu suchen, aber Diergarten weigerte sich: "Ich war noch jung, war der Jüngste in meinem Jahrgang, ich konnte mir doch nicht jetzt schon ein Lebensthema suchen!" Die amerikanische Farbfotografie von William Eggleston und Stephen Shore beeinflusste den Künstler aber auch, und das macht den Unterschied zu den Bechers aus: Götz Diergarten ist viel näher an der Malerei, als es seine Lehrer je waren, eben durch seine Verwendung von Farbe. So sind die Einflüsse der Farbfeldmalerei und der Minimal Art nicht zu übersehen.
Was aber sein Werk entscheidend prägt, ist der leise Witz, der sich bemerkbar macht, wenn man - immer empfehlenswert! - genau hinschaut. Dann wird beispielsweise aus leisen Abweichungen zur Realität, der leichten Asymmetrie im Bild, wunderbare Ironie, die die reine Typologie konterkariert und zum Erlebnis macht.
Mit Hilfe von Stipendien konnte Diergarten viele Serien verwirklichen, die ihn nach England oder Belgien führten, wo er über etliche Jahre hin Strandhäuschen fotografierte, die auch hier in der Region mehrfach zu sehen waren und jetzt auch bei den "Strümpfen" in wenigen Exemplaren vertreten sind.
Götz Diergartens Erfolg zeigte sich bald an seiner Präsenz auf internationalen Messen. Ganz neu ist das Motiv der Zeitlichkeit, das in seinem Werk bisher keine Rolle spielte, aber an den Rolltreppen aus U-Bahnhöfen in Langzeitbelichtung ablesbar wird. Neuerdings fotografiert er auch digital, aus der Not heraus, wie er sagt, weil die analogen Labors nach und nach schließen oder unbezahlbar werden. Zur Mittelformatkamera kehr er immer wieder zurück.
Netzwerk europäischer Fotografen
Das Positive an dieser Entwicklung kann er jedoch auch wahrnehmen: Jetzt ist es dem Mitglied des europäischen Fotografennetzwerks POC auch möglich, selbst Bücher zu machen - und sich weiter konsequent "gegen den verordneten, fremdbestimmten Blick zu wehren", wie er etwa seine Aussichtsbänke nennt, die es in einem schönen fotografischen Exemplar auch in Mannheim zu bewundern gibt.
© Susanne Kaeppele - Mannheimer Morgen, 10. Mai 2011