KUNST: Der Brite Simon Starling hat für den Heidelberger Kunstverein zwei grandiose großformatige Werke geschaffen

Vom farbenfrohen Verschwinden im Nichts

Noch hat es sich nicht vollständig herumgesprochen, aber Johan Holten, der neue Leiter des Heidelberger Kunstvereins, hat wirklich richtig gute Kontakte: So ist es ihm jetzt gelungen, den international renommierten Installationskünstler Simon Starling, der 2005 den Turner Prize erhielt, für eine Ausstellung in Heidelberg zu gewinnen. Und zudem konnte er den jungen Briten (Jahrgang 1967) dazu bewegen, zwei ganz neue Arbeiten für den Kunstverein zu schaffen. Eine wird - ganz in Tradition der Konzeptkunst - ausschließlich in Großdias zu besichtigen sein, die andere ziert die große Wand der Halle.

Wie der sympathische Künstler bereitwillig äußert, knüpft er an seine großen Vorgänger der 60er Jahre an, benutzt deren Ergebnisse für seine Tätigkeit und transformiert sie weiter. Das lässt sich ganz gut an der großen Wandarbeit "Los Angeles, 3rd-5th March // To Indefinite Expansion" deutlich machen: Starling, der an der Frankfurter Städelschule lehrt, entnahm für dieses Werk beliebige Fotos aus der Tageszeitung, die eben an jenen Tagen im März 1969 erschienen war. Damals entließ der Konzeptkünstler Robert Barry in Los Angeles einen halben Kubikmeter Helium in die Luft, der sich natürlich sofort verflüchtigte, in Nichts auflöste.

In seiner postkonzeptuellen Herangehensweise überträgt Simon Starling nun Barrys Vorgehen auf ein anderes Medium, nämlich die Zeitung. Gerade Heidelberg als Heimat der gleichnamigen Druckmaschinen schien ihm hierfür geeignet: Er ließ die Fotos in Offset nachdrucken, vergrößerte ein Farbfoto immer weiter, wobei das Raster der Vorlage immer gröber wird, aber die Druckfarben Cyan, Magenta, Gelb und Schwarz immer klarer werden. Das Foto löst sich dann auf der Wand (6 mal 27,5 Meter) nicht mehr identifizierbar auf - wie das Helium im März 1969 in der Luft über Los Angeles, was sozusagen das tertium comparationis, der Vergleichspunkt ist. Starling erklärt dazu, dass die Künstler der 60er Jahre ihm Modelle geliefert haben, mit denen er heute weiterarbeiten kann.

Der in Epsom geborene Brite studierte an der Glasgow School of Art und lebt heute in Berlin. Ob seine berühmten globalisierungskritischen Reisen, seine Installationen, Fotografien oder Bücher, immer interessiert ihn auch selbstreflexives Gedankengut: Wie entsteht Kunst? Wie können wir Kunstwerke schaffen? Er ist seit Jahren in großen internationalen Gruppenausstellungen wie den Biennalen in Venedig und Sao Paolo, oder in Einzelausstellungen unter anderem in Basel, Bern und Glasgow vertreten. Mit seinen absurden Ideen lässt der Brite an Fischli/Weiss denken, aber auch an die poetischen Explosionen des Schweizers Roman Signer.

Aber er interessiert sich auch sehr für Mechanik, etwa für die des alten Diaprojektors, der Großdias für seine zweite Arbeit in Heidelberg an die Wand wirft: Unter dem unaussprechlichen Titel "Autoxylopyrocycloboros" (der eigentlich in Pseudowissenschaftsfachsprache nur genau das beschreibt, was in der Aktion geschah) sieht man Starling auf dem Loch Long in Schottland. Unterwegs mit einem kleinen Dampfboot, dessen Kessel er so lange mit Holz fütterte, auch mit den eigenen Schiffsplanken, bis das ganze Boot in Flammen aufging. Erneut thematisiert er so das Verschwinden, die Auflösung in Nichts, auch in Zusammenhang mit den sehr umstrittenen Atom-U-Booten, die hier kreuzen. Hier zeigt sich eine weitere Dimension seines Werks und Denkens: Er verbindet slapstickartig Geschichten miteinander, die zunächst nichts miteinander zu tun haben - dann aber doch etwas.

© Susanne Kaeppele - Mannheimer Morgen, 25.11.2006



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