DAS PORTRÄT: Der in Mannheim geborene Performance-Künstler Volker März hat seine Lust und Last mit dem Sport

Soziale Plastik sucht die Öffentlichkeit

Dass er einmal Künstler und nicht etwa Sportler werden würde - das stand für den 1957 in der Quadratestadt geborenen Volker März lange nicht fest. Ist der Absolvent der Hochschule der Künste Berlin, der bei Fred Thieler ausgebildet wurde, doch ein echter Sportfan. Seine zwei Meter prädestinierten ihn geradezu für Basketball, in seiner Jugend spielte er in der zweiten Bundesliga. "Immer in Bewegung", liebte März "das Spielen, Sich-Messen, Kämpfen", wie er sagt.

Aber er misstraut bei Länderspielen dem Nationalismus, der Aggressivität, verachtet Rassismus, kurz die Schattenseiten auch der Fußball-WM. Dennoch wurde auch für ihn überraschend sein Performanceprojekt "Unos United", das genau diese Problematik neodadaistisch thematisiert, von der Bundesregierung und der FIFA für das Kulturbegleitprogramm des Turniers ausgewählt und war auch in Mannheim unterwegs (wir berichteten). Begeistert erzählt er von seiner Heimatstadt, "wenn ich den Dialekt höre, dann geht mir das Herz auf".

Da seine Eltern hier lebten, kam er immer wieder in den Südwesten, stellte mehrfach in der Region aus und erhielt etwa 1993 den Emy-Roeder-Preis der Stadt Ludwigshafen. Er lebte einige Jahre in Landau und gestaltete hier 2002 eine aufsehenerregende Kunstaktion: Der lange Zeit bei Rosa von Praunheims Filmen als Ausstatter tätige März bespielte hundert leerstehende Räume in dem verlassenen Generalstabsgebäude der französischen Streitkräfte mit dem "Einzug des Ersatzmenschen".

Dieses als Alter Ego zu denkende Wesen aus modelliertem Ton mit schwarzem Haar, langem, schwarzen Rock und androgyn knallroten Lippen und Brustwarzen trat in mannigfaltigen Varianten in vielen Aktionen in den letzten Jahren auf. Dazu gehörten etwa seine 2002 in Berlin in der Charité aufgebaute Installation "Der Mensch ist, was ihm fehlt" (ein Satz von Georges Bataille) oder 2005 im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden "Vom Sein und Machen, was man ist". Schon die Titel machen deutlich, dass März sehr reflektiert arbeitet und in vielen Werken Bezug nimmt auf seine Lieblingsphilosophen wie Friedrich Nietzsche, Walter Benjamin oder Hannah Arendt. Der rote Faden vieler Arbeiten ist die Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit.

Wie Adorno ist er der Meinung, dass nach den Konzentrationslagern und der systematischen Vernichtung der Juden nichts mehr so ist, wie es war für Deutschland. So wandelte er, um auf den Fußball zurückzukommen, das "Wunder von Bern" in die "Wunde von Bern" um, weil 1954 schon wieder Schluss gewesen sei mit dem Aufarbeiten der grauenhaften Vergangenheit, und vor allem, "weil der DFB in den 30er Jahren ganz schnell judenfrei war". Und immer wieder: "Ich find es erschreckend, aber das ist unsere Identität."

So haben folgerichtig viele Standorte für das Unos-United-Projekt eine deutlich nationalsozialistische Vergangenheit, darunter erstaunlicherweise auch Patras (derzeit Kulturhauptstadt Europas). Hier beschäftigten sich die Unos und ihr Kopf mit dem Massaker, das die deutsche Wehrmacht 1943 in Kalavrita in der Nähe von Patras verübte und das bis heute eher unter den Teppich gekehrt wird: Mehrere Dörfer wurden damals in einem Rachefeldzug dem Erdboden gleichgemacht, die Männer getötet, Frauen und Kinder geschändet und ermordet. Aber: "Ich mache keine reine Aufklärungsarbeit, ich bin kein Gutmensch." So rettet er sich aus der Schwere seiner Sujets, die die ganze Last der deutschen Geschichte tragen, durch einen quasi dadaistischen Umgang mit dem Wort und völlig absurden Aktionen, die zum Lachen reizen.

Dazu gehört etwa die Säuberung, das grotesk sorgfältige Waschen der Riesenradiergummis, die ja selbst eigentlich "Reinigungsgeräte" des Papiers sind. Das künstlerische Instrument des durchs Format gesteigerten Alltagsgegenstandes erlaubt eine extreme Fülle an Assoziationen, die sich von selbst einstellen. "Plastische Ironie" wurde es genannt, was er tut, und er selbst hat einmal geäußert, "dass man komplexe Dinge vereinfachen muss, um sie sichtbar und verständlich zu machen." Und das gelingt ihm, vor allem, wenn man bereit ist zu lachen.

© Susanne Kaeppele - Mannheimer Morgen, 22.08.2006



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