KULTURREPORTAGE: Eine Exkursion ins isländische Reykjavík und seine aktive internationale Kunstszene
Kleines kreatives Chaos und globale Aktionen
Schon im Flugzeug geht es los: Island ist international! Die
Künstlerin Rhildur Ingadttir nimmt denselben Flug von Berlin, wo sie
gerade eine Ausstellung in der Galerie Kukei+Kukei hat, um nach
Reykjavík zurückzukehren. Bei ihr und ihrem Mann Tumi Magnússon, der
sich künstlerisch derzeit mit quadratischen Blumen und rechteckigen
Fischen beschäftigt, trifft man beim Abendessen dann gleich weitere
Kunstschaffende: Ingólfur Arnarsson, der mit seinen Aquarellen auf
Beton bekannt wurde, und Finnbogi Pétursson, der einer isländischen
Spezialität nachgeht, nämlich der Verbindung von Bildender Kunst und
Klang. Es gibt Lamm zu essen, neben Fisch eines der
Hauptausfuhrerzeugnisse des Landes im hohen Norden, das trotz seinen
Lavawüsten zu den reichsten Ländern der Erde gehört.
Auch beim Besuch der Iceland Academy of Arts am nächsten Tag fällt
die Modernität und Internationalität der Inselhauptstadt sofort ins
Auge. Die Akademie, an der auch Architektur, Theater und Musik auf
Bachelor studiert werden kann, existiert in der heutigen Form seit 1998
und hat jedes Jahr andere internationale Bildende Künstler wie Matthew
Barney, Bernd Koberling, Marina Abramovic oder Pippilotti Rist als
Dozenten. Die junge Künstlerin Elín Hansdóttir erzählt mir den
typischen Werdegang des heutigen isländischen Kunstschaffenden: Nach
dem dreijährigen Studium an besagter Akademie wechselt man in
europäische oder amerikanische Metropolen, um weiterzustudieren. Elín
(in Island zählt allein der Vorname, der Nachname gibt nur an, wessen
Kind die jeweilige Person ist) lebt jetzt in Berlin und studiert dort
weiter an der Hochschule Weißensee bei Karin Sander. Sie hatte eines
der wenigen isländischen Stipendien für junge Künstler, nämlich von der
Gudmunda-Andrésdóttir-Stiftung. Diese bedeutende abstrakte Künstlerin
(1922-2002) bestimmte ihren Nachlass für die Unterstützung werdender
Künstler.
Reykjavík zählt nur 200 000 Einwohner, hat aber eine erstaunliche
Museumsdichte für eine Stadt dieser Größenordnung, neben der National
Gallery of Iceland existiert das Reykjavk Art Museum, das eigentlich
aus drei Häusern besteht. In einem davon, Kjarvalsstadir, hatte gerade
Ragna Róbertsdóttir, eine der wichtigsten zeitgenössischen
Künstlerinnen in Island, eine Ausstellung ihrer hermetischen
Lavaarbeiten und Acrylglasbilder. Die neueste Errungenschaft des
Reykjavík Art Museum heißt seit 2000 Hafnarhs, das aus umgebauten
Handelsspeichern im Hafen besteht. Mit sechs großen, multifunktionalen
Ausstellungsräumen, deren Wände nach Belieben verschoben werden können,
entstand ein großartiges Haus für alle Gattungen zeitgenössischer Kunst.
Wie die Kuratorin Ólöf Kristín Sigurdadóttir bei meinem Besuch
berichtet, konnte für die Eröffnungsausstellung Ólafur Elíasson, der
isländische Däne, gewonnen werden. Auch die Galeristin Edda Jónsdóttir
spielt eine wichtige Rolle in der Kunstszene des Landes: Mit ihrer
Galerie i8, die seit 1995 besteht und hauptsächlich jüngere isländische
Künstler vertritt, hatte sie schnell Erfolg. Es gibt zwar nur ein bis
zwei Kunstsammler im dünn besiedelten Land der Geysire, aber Edda war
schnell international bekannt und auf wichtigen europäischen Messen wie
der Art Basel vertreten.
Einen anderen Weg beschritt der
ehemalige Jeans-Händler Pétur Arason, mit Hilfe öffentlicher Gelder:
Seine umfangreiche Kunstsammlung wurde auf drei Stockwerken zum Museum
SAFN (auf deutsch: Sammlung) umgewandelt. Pétur sammelt Kunst seit
1967, kannte bald die Amerikaner Donald Judd, Robert Long oder Carl
André, für die er auch als Kurator tätig war. Er erzählt von dem
überraschend großen Einfluss, den die Fluxus-Bewegung ab Ende der 60er
Jahre in Island hatte, sicherlich auch deshalb, weil Dieter Roth hier
lange lebte und seine Kunstkontakte zur Verfügung stellte.
Ebenfalls in der Innenstadt befindet sich "The Living Art Museum",
das sich im Besitz von etwa 200 isländischen und europäischen Künstlern
befindet. Stolz kann man heute auf 25 Jahre Ausstellungstätigkeit
zurückblicken, alle wichtigen isländischen Künstler waren schon im
Vorstand, das Programm ist - wen wundert es jetzt noch - international,
wenn auch häufig die Mitglieder selbst ausstellen. Dabei wird immer
juriert, und werden oft ausländische Kuratoren eingeladen, zum Beispiel
stellte hier Matthew Barney Teile seines "Cremaster"-Zyklus aus. Seine
Lebensgefährtin Björk ist natürlich auch Museumsmitglied.
In Hafennähe exisitert des weiteren ein Haus mit Künstlerateliers,
das den Namen "Klink og Bank" trägt und von Nina Magnúsdóttir gemanagt
wird. 130 Künstler, auch Musiker und Tänzer, haben hier auf 5000
Quadratmetern ihre Studios, das kreative Chaos mündet häufig in
internationale Aktionen. So realisierten im Sommer 2004 Paul McCarthy
und Jason Rhoades ein Wahnsinnsprojekt mit Namen "Sheep Plug": Aus
Schaf-Fett und Wolle formten ihre Mitarbeiter etwa 200 stinkende,
kleine Figuren, deren Form an einen absonderlichen Penis erinnert,
besprühten die abstrusen Teile mit Farbe und organisierten eine bunte
Parade durch Reykjavík. Getrost können wir jetzt doch Trolle und Elfen
zum Ramsch legen, oder?
© Susanne Kaeppele - Mannheimer Morgen, 06.01.2005