ATELIERBESUCH: Die Malerin Cholud Kassem in Heidelberg
Magische Schönheit
Fast verwunschen ist der Hinterhof, in dem sich das Atelier von
Cholud Kassem befindet, die Treppe zu ihrem winzigen Arbeitsraum muss
man sich hochkämpfen, aber oben vergisst man das alles mit einem Blick
auf ihre wundersamen, wappenartigen Bilder.
Vor zwei Jahren hatte sie ihre erste große Einzelausstellung im
Heidelberger Kunstverein, in der heraldisch wirkende Papierarbeiten der
1956 in Bagdad geborenen Malerin zu sehen waren. Nun präsentiert Anfang
November die Galerie Veronica Kautsch in Michelstadt ihre neueste
Werkgruppe. Aber der Weg bis hierher war lang, wie sie erzählt: In der
Region aufgewachsen, kam sie erst relativ spät mit Begabtenprüfung an
die Pädagogische Hochschule in Heidelberg, studierte Kunst auf Lehramt,
machte Museumspädagogik und entschied sich dann 1995, nur noch zu
malen. Ein sehr mutiger Schritt, der aber der einzig mögliche war, denn
die "innere Notwendigkeit", von der Kandinsky als Antriebsfeder allen
künstlerischen Schaffens sprach, spürt man bei ihr in hohem Maße.
"Zwischen Figur und offener Form", so erläutert sie, pendeln ihre Arbeiten von
Anfang an. Die Bilder, die auch im Kunstverein Heidelberg ausgestellt
waren, enthalten häufig figürliche Anklänge, es drängen sich Anmutungen
an Schilde, Kleidchen oder Stierköpfe auf, wie in Wappen eben. Der
Gedanke an Beschwörungen entsteht, auch wegen des Titels "Schutzlinge",
aber ebenso an Magie durch Farben. Symmetrisch kommen ihr die Formen
aus dem Unterbewusstsein, werden mit Wachsmalkreide und Acryl in
kräftigen Farben festgehalten, lasierend oder deckend, wieder
abgeschabt, wieder übermalt. So geschieht es, dass im immer weißen
Hintergrund Spuren der vorherigen Malvorgänge zu sehen sind. Dabei wird
ganz deutlich, dass die Künstlerin "Malen als Prozess" auffasst, wie
sie erklärt.
In der jüngsten Werkgruppe arbeitet sie nun mit fragilen, schmalen
Streifen aus Transparentpapier, auf der ganz neuartige Gebilde
aufgetragen sind: Sie nennt sie "Pfeile", man könnte auch
kunsthistorisch sagen, es sind bipolare Elemente mit einer mittleren
Verdickung, aggressiv und stachelig. Das Transparentpapier wird dazu
immer wieder übermalt, gewaschen, überklebt. Auf diese Weise spielt sie
mit den Formen in nun sanfteren Farben ein geheimnisvolles, man könnte
fast sagen: archetypisches Spiel gegen einen nicht benennbaren Gegner.
Ausstellung von Cholud Kassem in der Galerie Veronica Kautsch, 64720
Michelstadt, Mauerstraße 11; Vernissage am Sonntag, 2. November, 17
Uhr, bis 13. Dezember, Mi-Fr 15-18.30 Uhr, Sa 11-16 Uhr (Telefon
06061/12 3 61).
© Susanne Kaeppele - Mannheimer Morgen, 09.09.2003