AUSSTELLUNG: Fotografien von Bernhard Prinz in Mannheim
Schönheit und Verfall
Einem kleinen Jungen laufen die Tränen über das Gesicht, links neben
seinem Por-trät im Halbprofil sieht man abgebröckelte Stufen, die nach
oben gehen. Was ist ge-schehen? "Lockung II" lautet der Titel, da-neben
hängt das frontale Bildnis eines sehr jungen Mannes, ergänzt von einer
Portal-front in eindeutig nationalsozialistischer Architektur. Sofort
beginnen sich mögliche Geschichten zu entwickeln, von
Reichsparteitagen, Hitlerjugend, jungen Soldaten und vielem anderem,
aber: nur in der Fantasie des Betrachters.
Der 1953 geborene, heute international erfolgreiche Fotokünstler
Bernhard Prinz führt uns mit seinen neuen Fotografien hinein in
inszenierte Geschichten. So präsentieren sich auf überlebensgroßen
Farbaufnahmen drei junge Männer, im Titel "Parvenue" genannt,
Emporkömmling. Sie sind als Halbfigurenporträt mit nacktem Oberkörper
frontal aufgenommen, stehen im Kontrapost, tragen weiße Hosen und
Schmuck. Ihre Augen sind geschminkt, die Haarschnitte erscheinen sehr
gepflegt, überhaupt: Wirken sie nicht alle ein wenig feminin? Im
Hintergrund sind Vorhänge angedeutet, im mittleren Bild eine zerwühlte
Decke auf einem Bett und sofort sind wir in der nächsten Geschichte:
Sind diese Jünglinge vielleicht homosexuell? Was haben sie erlebt in
der letzten Nacht? Prinz hat diese Tableaus hochgradig ästhetisch
inszeniert, in gesuchten Kompositionen und harmonischen Farbtönen. Er
verwendet die Mittel der traditionellen Malerei, die er auch durch ein
Studium der Kunstgeschichte näher kennt, um Personen und Interieurs zu
stimmigen, aber auch rätselhaften Bildern zu fügen.
Eine weitere Serie von Fotografien, "Iko-nen" betitelt, behandelt
frontale Porträts junger Frauen, inszeniert zum Kunstwerk. So lässt
eine junge Dame mit aschblonden Haaren und nacktem Oberkörper, die
einen Kapuzenmantel um die Schultern trägt, an Heilige auf alten
Gemälden denken. Aber: Ihr Nabel ist gepierct, ihr mildes Lächeln ganz
gegenwärtig, sie ist brillant in Pose gesetzt. Eine moderne Heilige?
Wie allegorische Landschaften hingegen wirken die Fotografien
sorgfältig arrangierter, verschieden gemusterter Stoffbahnen in
gedeckten Farben. Auf den zweiten Blick erkennt man erst die zerrüttete
Umgebung, in der sie wie Wasser zu fließen scheinen: kaputte Stühle,
morsche Mauern. So geben alle Arbeiten von Prinz in der derzeitigen
Ausstellung der Galerie Knaus ästhetisch gelungene Rätsel auf, wirken
rückwärts gewandt und gleichzeitig sehr gegenwärtig.
Galerie Knaus, Mannheim, Augartenstr. 68, bis 6. Juni, Di bis Fr 14-19 Uhr, Sa 11-15 Uhr.
© Susanne Kaeppele - Mannheimer Morgen, 25.05.2002